mercoledì 22 aprile 2020

Text von Héléne Hart Die Entschlackung der Welt




                                   "Die Entschlackung der Welt"

                                                          Helene Harth

2013

(...) Um Fernanda Mancinis Bilder zu verstehen, sollten Sie aber in erster Linie Ihren eigenen Augen vertrauen, sie sollten hinschauen und ihren Empfindungen beim Betrachten dieser auf den ersten Blick geheimnisvollen Kollagen nachspüren. Was sie selbst sehen, ist wichtiger als das, was Andere Ihnen über das Gesehene erzählen, und seien es die größten Kunstspezialisten.
Ich will ihnen deshalb auch keinen kunsthistorischen Vortrag über Fernandas Bilder halten, zumal ich keine Kunsthistorikerin, sondern eine kunstbegeisterte Freundin der Malerin bin. Stattdessen möchte ich  Ihnen berichten, wie diese Bilder auf mich gewirkt haben, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Das war an einem tief verschneiten Wintertag im Nationalmuseum in Stettin. Dort wurde eine Ausstellung von Fernandas Bildern vorbereitet, die aber noch nicht begonnen hatte. Ich war allein mit den Bildern in einem sehr schönen runden, weißen Ausstellungsraum. Man konnte die Bilder nacheinander abschreiten wie die Stationen eines Kreuzweges und dass von ihnen so etwas wie eine religiöse Ausstrahlung ausging, deutete  ja bereits der Titel der Ausstellung an: Der Raum, Die Dinge, Die Fragmente. Im Bereich des Heiligen. Der stumme Blickkontakt mit Fernandas Kollagen erinnerte mich an eine weit zurückliegende und fast verschüttete Erfahrung, die plötzlich wieder an die Oberfläche kam. Diese Erfahrung kann, wie ich glaube, dazu beitragen, sich der Kunst Fernanda Mancinis zu nähern.Um sie Ihnen zu beschreiben, muss ich allerdings ein klein wenig weiter ausholen.
(...) Haben Sie dieses Bedürfnis nach einer Entschlackung und produktiven Verarmung der Welt vielleicht  auch schon einmal selbst in sich verspürt? Ich selbst habe ihn mir erfüllt, als ich mehrere Sommer mit einem Künstler in der Provence lebte. Mein Zimmer für mich allein, um mit der Schriftstellerin Virginia Wolfe zu sprechen, war ein ehemaliger Schafstall, ein schöner, großer Raum mit einem Fussboden aus Beton und weißen Wänden. Es gab nur eine Holzplatte auf Böcken und ein Brett auf Backsteinen für ein paar Bücher und einen Stuhl. Kein Telefon, kein Radio, kein Fernsehen, keinen Computer. Die Wirkung war verblüffend: die Zeit dehnte sich ins Unendliche. Die Stille räumte mein überfrachtetes Inneres leer und schuf Platz für ganz neue Gedanken und Gefühle, für einen neuen Blick auf mich selbst und meine Umgebung, sogar für eine neue Art zu schreiben.
An diese Erfahrung erinnerte mich der Anblick von Fernanda Mancinis Bildern  in dem noch leeren Ausstellungsraum im winterlich verschneiten Stettin.

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