Fernanda Mancini Orte und Zeiten der Ikone
Mariano Apa
2018
Im Lauf der Jahre haben die Erkundungen, die Fernanda Mancini im Dialog mit der Kunst unternommen hat, zu einem ihr eigenen, kohärenten und schlüssigen kritisch-ästhetischen Ganzen geführt, zu der geglückten Darstellung eines künstlerischen Raumes, in dem die Emotion ihre vielfältigen Intentionen zu einem reifen Ausdruck bringt.
Es geht der Künstlerin nicht darum, Theorien und
Praktiken der Kunst historisch-kritisch nachzuvollziehen, vielmehr möchte sie
in ihrem eigenen Bewusstsein die Ernüchterung über verbrauchte und korrodierte
Kategorien und Weltanschauungen reifen lassen, dadurch den nihilistischen
Stillstand überwinden und neu beginnen, mit einem anderen Blick in ursprünglichem
Licht. Jeder Künstler strebt nach Identität, mit einer eigenen Form in Sprache
und Stil, der seine besondere Sichtweise zum
Ausdruck bringt. Fernanda Mancini schafft einen ikonographischen und
ikonologischen Bereich von Zyklen, Volten, um in einem weitreichenden Panorama
eine Vollkommenheit zu beschreiben, die in den einzelnen Schritten und im
Ganzen ihre besondere Originalität hervorhebt.
Im Lauf ihres Lebens hat sich die Künstlerin intensiv
mit Blauen Reitern und Paladinen der Alchemie, Surrealisten am Hof von König
Apollinaire und der italienischen und europäischen Neoavantgarde
auseinandergesetzt und so zu ihrer eigenen originellen Arbeitsweise gefunden, in
der künstlerisch-kulturellen Realität der Kunst und der Tradition der
Europäischen Avantgarden zwischen Anfang und Ende des 20. Jahrhunderts. Sie hat
sich dabei ganz eigenen Studien gewidmet und mit Hingabe ihr eigenes Wirken
vorangebracht.
Papier, Leinwand, Karton und Terracottablatt sind auf
einer Fläche ausgebreitet oder hängen an einem Faden in der Luft und schweben
in dem sie umgebenden Raum. Mit diesem Raum treten sie in einen Dialog,
beginnen eine Interaktion wie bei einer Performance. Dazu bedarf es objektiv eines
bestimmten Materials, doch die Künstlerin verwandelt es und setzt dabei eine
Art heiliger Repräsentation von „Raum und Zeit“ in Szene.
Das magnetische Feld der Archetypen, in der Tiefe
der sorgfältig im Innern bewachten Realitäten eines jeden von uns, kommt an die
Oberfläche als Bedingung der Welt der Erscheinungen, es entzündet sich in dem
Bild, das durch die Formung des künstlerischen Prozesses bestimmt wird. Kleines
und offenes Blatt, Unendliches im Endlichen, Blatt und ganzer Baum: die
inzestuösen Verweise im Atelierraum schweifen von Wand zu Wand und rufen einen
ikonographischen Enzyklopädismus hervor, der „Ohr“ und „Gefäß“ in die
Ikonographie des Empfangens einbezieht, dort wo zwischen Theologie und Alchimie
oberhalb eines laizistischen Altars schimmernd das Blau einer Unbefleckten
Jungfrau Maria entspringt.
Die Materialien ordnen sich der mentalen Struktur
der Zeichnung unter. Sie sind auf der Oberfläche als fester, flüssiger oder
luftiger Raum aufgebracht, auf nichts anderem als Karton oder Leinwand. Die
Elemente entstehen wie ikonographische Realitäten und erzählen den
ikonologischen Transfer. Das niedrige Profil des Horizontes kontrastiert mit der
Krümmung der Linien, die in Harmonie mit dem räumlichen Klang der Feder nach
oben streben: Leichtigkeit des Bildes und Bedeutung des Fliegens und lebhafter Körper des luftigen
Geschreis der Bewegung, wie zwischen wiederholten Senkrechten und Kreisen, der Oberfläche
aufgeprägt. Hier ein Kreuz und eine Wand, eine Wirklichkeit aus Licht und
Schatten, um die Transparenz angesammelter Zeiten zu durchdringen. So verkünden
Kugel und Würfel, indem sie die Erinnerung Picassos in der Fünften Elegie von
Rilke wachrufen, eine Geometrie der zeitlich-räumlichen Ordnung. Kugel aus
Zeichen und Kugel aus Farben. So trägt
die farbliche Masse – Rot, Schwarz, Gelb - die Vorstellung von Gewicht und
ikonographischer Tiefe in sich, die das Gezeigte in Erzählungen über antike und
zeitgenössische Symbolik und Theologie sowie antike und zeitgenössische
Philosophie umwandelt.
So variiert das Kreuz je nach den Hinweisen
früherer Deutungen, und Mancini wendet sich den verlorenen Schriften René
Guénons zu, ein Orient ohne Orientalismus, und liest sie ganz neu. Sie entdeckt dabei wieder die wunderbaren
Miniaturen des vergessenen Katalonien, des früheren Florenz; dort wo sie es
wagt, wahres Schreiben und wahre Malerei zusammenzubringen, verweist ein Poem auf
ein Bild, und die räumlichen Koordinaten wachsen, angeregt von den Wahrheiten
der Schönheit.
Papier in Streifen verkleinert die Räumlichkeit der
Kreuzung von Vertikale und Horizontale und das bedeutsame Rot betont das Licht
des wiederholten Opfers: So zeigt sich auf ähnliche Weise ein „byzantinisches
Kreuz“ im smeriglio della pietra
levigata in sfera incastonata als
kostbares Kreuz der Spiritualität der griechischen Orthodoxie, das in der
Transparenz einer hieratischen Bedeutung des vollkommenen Bildes zum Ausdruck kommt. Schoß der Erde, Schoß der
Hirnschale der Erde, zu bewachen und ausersehen, tiefstes siderisches Hören entstehen
zu klassen: Schoß und Ohr, Mund und Auge; Risse und Gefäße, um die Vorstellung
der Materialanhäufung zu bewahren, das Erzählen, die Fähigkeit, die Elemente
der archetypischen Phänomenologie zu benennen.
Die Struktur des Unbewussten ist in den Werken von
Fernanda Mancini lebendig. Es findet sich dort die Einordnung der
Ikonographien, auch der Bedeutung und des Wertes der Alchemie; es geht in ihren
Werken jedoch darum, die Ikone der Seele derselben Ikone zu schaffen, so dass
das Bild auf nichts anderes verweist als sich selbst, um alle Hinweise zu
versammeln und gleichfalls die Wege zur Bedeutung des inneren Reisens eines
jeden offen zu halten.
Bei dieser Arbeit zwischen dem Bild des Archetypus
und der Wirklichkeit der poetischen Emotion innerhalb einer nie unterbrochenen
philosophischen Reflexion bringt Fernanda Mancini in ihrem Werk die Suche nach
einer Laizität der kompositorischen Verinnerlichung zum Ausdruck, die sich mit
der Innerlichkeit eines religiösen Werkes verbindet, das historisch das Wagnis
eingeht, sich „Göttlicher Kanon“ zu nennen – wie Lenz und Serusier es am Anfang
der Beuroner Kunstschule forderten – dort wo zwischen den wiedergefundenen
Wurzeln der historischen Avantgarden Mancini mit dem Vergnügen erfüllter
Bestrebung in einer Serie von Werken den „Esprit Nouveau“ des „Modulor“ von
Corbusier bewahrt.
Das gelungene Gefüge der Werkzyklen von Fernanda
Mancini zeigt die Bedeutung des Wundersamen,
in dem die Malerei weisheitlichen Wert erlangt, wo die Poesie des Weges die
Emotion der Farbe erzeugt, wie hingeworfen mit der Einfachheit einer gekonnten
Geste, spontanem Handeln. Materie wie
Mutter, und so bringt Fernanda
Mancini die vielfachen Anordnungen der Sequenzen von Darstellungen,
Ikonographien und malerischen Erkundungen dazu, sich zur Tradition in Beziehung
zu setzen und zur kompositorischen Eleganz wie vom Würfel/Quadrat zur Kugel
/Kreis in einer Pyramide /Dreieck; hier schließt sich die Serie der Kreise einer
Einheit von Absichten und einem aussagekräftigen Werk an, in der Ausübung der Kunst,
bei der Fernanda Mancini die Wege ihrer Recherchen zusammenführt. Bei der
ergründeten Einheit des Werkes nämlich, der Wirklichkeit einer menschlichen
Darstellung, die den Wert eines religiösen Bildes hat, als säkulare und heilige
figürliche Darstellung der Weisheit, die bestrebt ist, gerade in der Ikone zum Ausdruck zu kommen.
(Ueberstzung von Christiane Landgrebe)
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