mercoledì 22 aprile 2020

Text von Beate Eckstein "Und Fische tanzen durch die Luft"





                                       „Und Fische tanzen durch die Luft…“
                             Zu Fernanda Mancinis Werkzyklus „Tripeditrip“
                                            
                                                   Beate Eckstein
2016

In Fernanda Mancinis Papierarbeiten, die 2016 als Werkgruppe „Tripeditrip“  entstanden, gehen unterschiedliche Kunstgattungen − die Poesie von Gu Cheng, die Musik von Peng Yin und ihreZeichnungen und Collagen− eine sich gegenseitig befruchtende und sehr gelungeneBeziehung ein. Diese Verbindung von Dichtkunst, zeitgenössischer Musik und bildender Kunst erscheint in „Tripeditrip“sehr leicht und mutet fast selbstverständlich an. Das mag zum einen daran liegen, dass die Musik von Peng Yin eine ebenso kongeniale wie offen angelegte Umsetzung der taoistischen Gedichte von Gu Cheng bietet. Zum anderen ist die Verbindung von Dichtkunst, Musik und Kunst eine zutiefst in der Romantik verankerte und damit vertraute Idee, die sich in „Tripeditrip“ wiederspiegelt.

Die Grundthemen der Romantik, Gefühl, Leidenschaft sowie individuelles Erleben und Empfinden entstanden als Reaktion auf die vernunftsorientierte Philosophie der Aufklärung und die Strenge derKlassik. Um 1789 plädierte der Kulturphilosoph Friedrich Schlegel, einer der wichtigsten Vertreter der „Jenaer Frühromantik“, in seiner progressiven Universalpoesiefür das Offene, Fragmentarische in der Dichtkunst und das freie Spiel von Formen und Techniken. Eine normative Poetik hingegen lehnte er ab, bietet diese doch den Gefühlen der Romantik zu viele Schranken. Bereits in dieser Epochewurden die Grenzen sowohl zwischen den einzelnen Literaturformenwie auch schließlichunter den einzelnen Künsten –Literatur und Dichtung, Malerei und Musik überwunden. Auch die Blaue Blume“, das romantische Symbol für Sehnsucht, Ferne und Liebe, findet sich in zahlreichen Werken der romantischen Literatur, der Malerei und in der Musik wieder.

Ein reger Austausch zwischen Literatur und bildender Kunst prägte dann auch die Jahre zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Vor allem bei den Pariser Surrealisten um André Breton undLouis Aragon, Max Ernst, Salvador Dalí und Juan Miró bildeten die engen Beziehungen unter den Kunstgattungen bildende Kunst, Poesie und Literatur die Grundlage für die schöpferische Gestaltung und Bildfindung.

Für Gu Cheng (1956-1993), einem der bedeutendsten Lyriker der chinesischen Moderne, war – und das war völlig neu nach der Kulturevolution —das Erlebendes Individuums in und die Verbindung mit der Natur die wichtigste Inspirationsquelle für seine Dichtung: „Ich ging allein am Meer entlang. (…) Plötzlich öffnete sich am Rand des Himmels ein Spalt. Ein Vogelschwarm näherte sich. Als ich sie näher kommen sah, flogen sie direkt auf mich zu und ließen sich fröhlich singend um mich herum nieder. Ich glaube, damals verspürte ich zum ersten Mal den Wunsch zu sprechen, denn sie sprachen zu mir. Als sie davonflogen, hob sich die Erde für einen Augenblick wie ein Blatt Papier. Meine Ohren tönten. Dann vernahm ich einen wunderbaren Klang: alles, das Grass, die Luft, der Himmel, die Erde, sprachen mit sanfter Stimme, mit Gesten von einem Geheimnis. Danach begann ich zu schreiben.“Die Sprache in Gu Chengs Poesie scheint märchenhaft, fast kindlich, seine Gedichte sind offen, teils fragmentarisch angelegt und handeln eben von diesen Begegnungen mit und in der Natur – alles Elemente, die auch in der Romantik von Bedeutung sind: „Die Stimme der Natur wurde in meinem Herzen zur Sprache. Das war das Glück“ schreibt Cheng in einem anderen frühen Gedicht.

Inspiriert von diesen Gedichten Gu Chengsentstand die Komposition von Peng Yin(geb. 1979 in Peking). Seine Musiklässt bewusst genug Freiraum für Assoziationen zu, die Offenheit und Nonkonformität der Sprache Gu Chengs wird so eindrucksvoll in Töneübersetzt: Gu Cheng erlebt den „Klang“ der Natur, den Peng Yin in Musik umwandelt und die wiederum Fernanda Mancini aufs Papier bannt  – ein wunderbares Zusammenspiel der Künste.

Fernanda Mancini selbst stellt diese enge Verbindung aus Bild, Ton und Sprache als Grundlage ihrer künstlerischen Umsetzung wie folgt dar: „Meine Arbeit ist inspiriert durch die Poesie Gu Chengs und Peng Yins musikalische Umsetzung der Gedichte. Mit großer Intensität habe ich bei beiden die Frische der Naturelemente gespürt: den Wind, das Wasser, die Bäume, in der Musik von Peng und ebenso im Atem und Rhythmus der Poesie Gu Chengs. Ich wollte diesen sinnlichen Eindrücken eine universelle symbolische Form verleihen, in der das orientalische und das abendländische Denken sich begegnen können. Ich wollte den Fluss der poetischen Worte der Gedichte Gu Chengs sichtbar machen und ebenso die Musik Peng Yins. Ich wollte sie visualisieren durch die Verbindung von Naturelementen mit anderen symbolischen Objekten von starker und universell gültiger Ausdruckskraft: die Fische, das Wasser, die Bäume, den Kreis und das Dreieck.“
„Tripeditrip“ besteht aus leichtenBleistiftskizzen und Collagen auf unterschiedlichsten, teils schwarzem Untergrund. Manche Arbeiten sind auf Notenblättern aufgetragen, manche von Tuschezeichnungen überlagert. Mancini schafft fast schwerelose Papierarbeiten mit angedeutetenLandschaften, Bergen und Bäumen, in denenschwebende Blätter − und auch Fische − surreal anmutend,durch die Luft fliegen.In machen Blättern sind Menschengruppen oder Gesichtselemente wie Nasen zu erkennen. Andere sind bestimmt von den Grundformen Dreieck und Kreis, zugleich auch metaphysische Symbolen, oder freien, zarten Linien. Überhaupt ist ihre Formensprache fragmentarisch und offen angelegt– ebenso wie die Musik Peng Yinsund die DichtkunstGu Chengs, und zeigt einen deutlichenBezug zum Taoismus.
Einer der Grundgedanken, ja zentraler Begriff der chinesischen Lehredes Tao ist der Begriff der Leere, als der Zustand höchster Vollkommenheit.Das Eindringen in die Leere ist das Einswerden mit dem Tao auch in der Kunst, und hier sogar in einem doppelten Sinne: Als innere Haltung des Malers, aber auch als die Leere im Bild selbst.Eine traditionelle Regel besagt,einGemälde solle aus einem Drittel Fülle und zwei Dritteln Leere bestehen – diese Regel ist natürlich nicht starr auszulegen.Kunstwerke besitzen dann noch eine größere Schönheit, wenn sie auf etwas jenseitiges, übernatürliches hindeuten, transzendieren.Fernanda Mancini setzt diese Leere sehr bewusst und sehr gekonnt ein und hat nicht die sprichwörtliche Angstvor dem weißen Papier:Mit zwei feinen Bleistiftstrichen deutet sie beispielsweise zwei riesige Berge an,vor denen die (flüchtende?) Menschengruppe winzig erscheint. Andere Linien brechen ab und lösen sich im Nichts, in der Leere auf.
Eindrucksvoll ist auch, wie sehr Mancini die unterschiedlichen Töne, Empfindungen und Gedichtzeilen in adäquate künstlerische Techniken umsetzt: Eher leise zurückhaltende fragmentarisch angelegte Bleistiftzeichnungen wechseln mit kraftvollen Zeichnungen eines Baumstammes in Tusche. Schwarzweiße Grafiken wiederum werden von einer wunderbaren Komposition mit abgerissenen, roten Blattzungen, die ein Notenblatt überlagern, abgelöst bis hin zu Arbeiten auf farbigem (orangen) Untergrund.
Zieht man in Betracht, dass Mancini vor ihrer künstlerischen Ausbildung in Rom, Berlin auch Philosophie studiert hat und als literarische Übersetzerin für „Apropos Doktor Faustus. Arnold Schönberg − Thomas Mann.“ fungierte, ist dieses besondere Gespür sowohl für die Sprache des Dichters als auch für die des Komponisten erklärbar. Mit der Übertragung in die bildende Kunst verleiht Mancini dem Dialog zwischen Dichtung und Komposition eine neue, eigene künstlerische Note: So entsteht der in der Romantik angestrebte Dreiklang von Dichtung, Malerei und Musik in wunderbarer, höchster Form — und ein Gesamtkunstwerk im allerbesten Sinne.

 2016

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